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Ist Modellbahn Kunst?

Diese Frage scheint zu bewegen. Ganze Forenthreads widmen sich explizit diesem Thema. Und wie oft ist angesichts einer sehenswerten Modellbahnanlage der verzückte Ausruf zu vernehmen, dass dies wahrlich große Modellbahn Kunst sei. Begleitet von ehrfurchtsvollem Raunen, dem tuschelnd die Namen großer Meister zu entnehmen sind: Josef Brandl, Bernhard Stein, Ivo Cordes, Pit Peg, Rolf Knipper.

Aber warum Bratkartoffeln mit Nouvelle Cuisine vergleichen. Höchste Zeit also, die Begriffe Kunst, Kitsch und Handwerkskunst auf die Untersuchungsgrube zu schicken.

Doch Vorsicht: Dieser launige Kommentar endet mit einem Plädoyer für exzessiven Kitsch und Bratkartoffeln!

Modellbahn & Kunst

Ist Modellbahn Kunst?

Ja, ich gestehe: Auch mein Auge erfreut es, wenn ein leichter Schimmer von Flugrost eine suppiduppi gealterte Lok ziert.

Wenn ein mega überzeugender Wasserfall auf einer meisterhaft gestalteten Anlage Rauschen in meinem Kopf erzeugt.

Wenn der vorbildgetreue Güterzug in vorbildgetreuer Langsamfahrt über ein vorbildgetreues Weichenfeld mit vorbildgetreuer Signalsteuerung schleicht.

Modellbahn ist Nachahmung. Daher gilt eine Modellbahn im allgemeinen als umso besser, je perfekter die Nachahmung der Realität, je detaillierter das Abbild des Vorbilds ist.

Aber damit bewegen wir uns nur auf der Ebene des klischeehaften Zitierens.

Modelleisenbahn & Kunst

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Also bitte:

DAS. IST. NICHT. KUNST.

Kunst erschöpft sich nicht im Zitieren des Bestehenden. Sonst wäre jedes Urlaubsfoto von Tante Anneliese auch Kunst.

Kunst erschöpft sich auch nicht in der perfekten Nachahmung. Sonst hätte die Welt auf einen Schlag ein paar Millionen Künstler mehr. Vorzugsweise Fabrikbesitzer in China.

Kunst kommt auch nicht von "Können". Dieser Satz mag zwar zum Standard-Repertoire jeder gepflegten Stammtischrunde gehören, richtiger wird er dadurch trotzdem nicht. Jeder röhrende Hirsch als Ölgemälde übertrifft ja den hingeschmierten Fettfleck von Joseph Beuys in punkto handwerkliches Können bei weitem. Trotzdem ist der Hirsch nur ein kunsthandwerkliches Accessoire. Besonders gern zu finden auf Brunftweiden vom Stil Gelsenkirchen-Barock, Imitat Eiche.

Kunst hat auch nicht die Aufgabe, schön zu sein oder zu gefallen. Das galt zu Zeiten der alten Maler. Doch da war das Kunstverständnis ein anderes. Wehe, das Porträt gefiel dem König nicht. Wir leben aber im 21. Jahrhundert. Ein kubistisch zerbröseltes Porträt einer Frau ist ja nicht schön im allgemeinen Sinne. Realistisch ist es schon gar nicht. Real ist Picasso.

Kunst ist auch nicht retrospektiv. Ist der Waggon da wirklich vorbildgetreu für diese oder jene Epoche? Das nennt man historisierend. Ist aber nicht historisch. Eine Band, die heute Elvis covert, mag sie dies noch so überzeugend tun, ist in ein paar Jahren vergessen. Elvis dagegen ist Geschichte.


Rauminstallation: BR01, Metall auf Schotter?

Von wegen. Kunst beinhaltet, in Anlehnung an Adornos ästhetische Theorie, immer auch das Nicht-Identische, die Negation, die Utopie. Das gilt grundsätzlich, egal ob es sich um Musik, Bild, Film, Gegenständliches oder Literatur handelt. Erst in der Antithese zum Existierenden mag die ästhetisch codierte Manifestation des Zeitgeistes gelingen. Im besten Fall entsteht gesellschaftliche Relevanz.

Der gesellschaftliche Kontext adelt also ein Werk zum Kunst-Werk: Welche Geltung hat ein Werk zu einer bestimmten Zeit und warum?

Modellbahn hat nicht diesen Kontext. Modellbahn hat einen Hobbyraum. Oder einen Kassenschalter ála Miniatur Wunderland. Das ist ein Unterschied.

Das Signal zum Museum of Modern Art in New York steht also auf Hp0.


About: Kitsch, Kunst & Handwerkskunst

Wo Kunst Transzendenz ist, beschränkt sich Kitsch auf die verniedlichende Wiederholung des Geläufigen, auf die Bestätigung des Bekannten, auf das Abbilden des Eindeutigen. Kitsch ist der Beipackzettel fürs einfache Gemüt, ist Teletubbies für Erwachsene. Dort wurde auch jedes Wort wiederholt. Nachahmung als Konzept: Steinbogenviadukt? Steinbogenviadukt!

Kunstvolle Modelleisenbahnanlage?


Ah, Steinbogenviadukt.

"Ich erkenne, also bin ich": Würde Descartes heute noch leben, vielleicht hätte er seinen berühmten Satz für uns Modellbahner derart spezifiziert. Im Kitsch gerinnt die Differenz zwischen Zeichen und Bezeichnetem zum eindimensionalen Postulat des Faktischen. Das Utopische ist im Identischen aufgegangen. Was bleibt, ist die Reduktion. Deshalb ist das, was auf einer Modelleisenbahnanlage so gern "die Welt" genannt wird, immer nur ein Tunnelportal. Bestenfalls der Schattenbahnhof.

Statt Entgrenzung also Begrenzung. Sinnbildlich dafür das Ende der Eisenbahnplatte. Und so sind die super realistische Felspartie, die vögelnden Preiserlein, der blinkende Feuerwehreinsatz oder der vorbildgerechte Bahnbetrieb inklusive Sound, epochenreiner Zugzusammenstellung und korrekter Bahnhofsdurchsage nur perfektionierter Kitsch. Schwarzwaldklinik mit Gleisanschluss, allenfalls gut gemachte Handwerkskunst.

Womit praktisch alle Modellbahnanlagen verortet sind.

Und ob der nano-kleine Rest das Zeug zur Kunst hat - fraglich. Der Weg vom Kitsch zur Kunst führt nicht über Schienen, sondern über nicht erschlossenes Gelände.

Ist Modellbahn Kunst?
 

Pop Art Spielerei, Photoshop auf Mac, 1200 x 800 Pixel. Lieber ist mir aber diese Kleinstanlage Spur N.

Womit noch ein weiterer Begriff zu klären wäre: Die Traumanlage. Auch die war bereits Gegenstand akademischer Betrachtungen.


Die "Traumanlage" zwischen Norm und Subjektivismus

So definierte 2011 der Historiker Rolf-Ulrich Kunze, Professor für neuere deutsche Geschichte am renommierten KIT in Karlsruhe, die Traumanlage als autobiographische soziale Konstruktion. Sie sei ein Sehnsuchtsort, allerdings oft besetzt von einer Spezies namens "Modellbahnfacharbeiter". Dessen Gehabe dünkt Kunze einigermaßen autoritär, was ihn zu der süffisanten Feststellung bringt:

"Der Subtext deutscher Modellbahnratgeber ist die Arbeits- und Fabrikordnung des 19. Jahrhunderts. Normiert wird das Tun und Unterlassen, bei Zuwiderhandlung droht das Verdikt der Unprofessionalität, die handwerkliche Exkommunikation. (...) Deutsche Modellbahnpraxis ist Normkunde." (In: Traumanlagen: Spurweiten. Technik, Geschichte, Identität, Seite 119/120. Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Scientific Publishing, Karlsruhe 2011, abgerufen am 26.05.2023)

Auch wenn heute deutlich mehr Lässigkeit in den heimischen Kellern regiert, so ist dieses pointierte Essay immer noch sehr lesenswert, weil prinzipiell richtig und zudem höchst unterhaltsam. Als Traumanlage gilt nunmal nicht, wenn der Gleisschotter zu grob ist, das Signal an der falschen Stelle steht, der Abstand zwischen Quertragwerk und Bahnsteigdach nicht die korrekte Höhe hat oder die E-Lok mit eingeklapptem Stromabnehmer fährt. Da kann es einem heute noch passieren, dass man von Normwächtern, deren Lieblingswort "vorbildgerecht" ist, darauf hingewiesen wird.

Man stelle sich den Hinweis auf einen "vorbildgerechten" Pinselstrich mal bei einem Gerhard Richter oder Keith Haring vor. Oder den Hinweis auf die "vorbildgerechte" Tonart bei Strawinsky, Nirvana oder einer rattigen 303 Acid-Line in einem deepen Electro-Track.

Dass als Traumanlage gilt, was subjektiv gefällt, ist also nur die halbe Wahrheit. Der Rest ist die Norm. Sie manifestiert sich in der Wiederholung des Immergleichen: Die möglichst genaue Nachbildung des Vorbildes. Institutionalisiert ist diese Norm als herrschende Ästhetik in zahllosen Ausgaben diverser Modellbahn Magazine, visualisiert in zahllosen schönen Fotos und Videos im Web oder den Socials. Deren Bewunderung gipfelt dann bezeichnenderweise oft in dem Ausdruck:

"PERFEKT! DAS IST JA VOM VORBILD NICHT MEHR ZU UNTERSCHEIDEN!!"

Als Kreativität gilt nur, was innerhalb dieser Grenzen existiert: Die aufgeschlagene BILD-Zeitung auf der Werkbank im Lokschuppen. Dessen Dach ist selbstverständlich abnehmbar.

In diesem Sinne mein - gar nicht so überraschendes - Fazit:


Mehr Kitsch!

Ich will hin und wieder ein paar Stunden abschalten. Die perfekten Zutaten hierfür sind: Zwei Pfund Kitsch und ein paar Balken Fachwerk. Beim Anrichten wird die Uhr auch gern mal ein paar Dekaden zurückgestellt und ansonsten lassen wir alle Fünfe gerade sein. Modellbahn ist: Wenn's Spaß macht!

(Preisfrage: Wie viele "Fehler" enthält das folgende Bild?)

Modelleisenbahn Kitsch

(Keine Kunst, sondern nur ein Foto von dieser Kleinanlage Spur N )

Und für eine Portion anständige Bratkartoffeln bin ich eh immer zu haben.


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